Sonntag, 26. August 2012

Im Haus der Provider oder wie man vor aller Augen Kinder fickt

Vorbemerkung:


Einmal zeigte mir jemand Bilder aus dem World Wide Web. Bilder von Kindern und von Männern, wie sie Dinge miteinander tun, die Kinder und Männer für gewöhnlich nicht miteinander tun. Genaugenommen sah ich nur die Kinder. Von den Männern waren nur die Geschlechtsteile oder andere barbarische Instrumente ihrer Körper zu sehen, mit denen sie die Kinder malträtierten. Ich sei Schriftsteller, sie fand, ich solle darüber schreiben.

Später, sehr spät in der Nacht, sah ich eine Reportage, im Fernsehen, über das Ficken von Kindern im World Wide Web. Angesichts des Grauens verstummte ich augenblicklich. Während ich mich still verhielt und darauf wartete, daß der Schmerz aufhörte, legte das Grauen seinen Weg durch mich zurück. Erneut stiegen jene Bilder in mir auf, die sie mir Monate zuvor im World Wide Web gezeigt hatte. Ich sah wieder die Faust eines Mannes, wie sie im Anus eines Jungen steckte, und ich fragte mich, was die Faust eines Mannes im Anus eines Jungen zu suchen hatte. Ich erkannte auch das Mädchen wieder, dieses namenlose Mädchen aus dem World Wide Web, dem ich einen Namen gegeben hatte, um seine schreckliche Anonymität für mich zu durchbrechen. Nachdem ich lange genug aufgehört hatte, irgend etwas zu tun, die Nacht näherte sich bereits ihrem Ende, begann ich zu schreiben.

In den folgenden fünf Tagen und Nächten schrieb ich fünf verschiedene Fassungen. Ich holte die Dinge aus dem Dunkel zu mir heran, warf sie in die Dunkelheit zurück, weil ich es kaum ertragen konnte. Andere Dinge, sehr persönliche Dinge, richteten sich plötzlich in ihrer ganzen Größe vor mir auf, und ich hatte meine liebe Not, sie kleinzuhalten. An einem Tag fand ich das, was ich schrieb, zu hart und versuchte das Geschriebene abzumildern. Am Tag darauf machte ich alles wieder rückgängig. Dann, in der letzten Nacht, war es mir egal. Ich widersetzte mich nicht länger. Ich überließ mich dem Schreiben, ganz gleich, wohin es mich bringen würde. Mit dem, was ich sagte, würde vielleicht keiner einverstanden sein, doch da es authentisch war, wäre es vollkommen. Denn es ist so, daß ich zu der Ansicht gelangt bin, daß das Ficken von Kindern eine schreckliche Sache ist. Daß für ein geficktes Kind das, was es erlebt hat, niemals vorüber ist. Daß für ein geficktes Kind das Leben nicht mehr weiter geht. Für ein geficktes Kind ist das Leben immer schon gewesen.

Ich überlasse Ihnen meinen Text, der davon handelt, wie man im World Wide Web Kinder fickt, vor unseren Augen sozusagen. Ich weiß nicht, was ich von Ihnen erwarten kann, was ich Ihnen zutraue. Andererseits glaube ich noch daran, daß, wenn es Menschen gibt, die fähig sind, Kinder zu ficken, es auch Menschen geben wird, die fähig sind, dem entgegenzuwirken. Wenn Sie zu diesen Menschen gehören, werden Sie in einem Kind einen Menschen erkennen.



Gut, fangen wir an:
Jemand hat mir gesagt, ich solle nicht «Ficken» sagen, und wenn ich schon «Ficken» sage, solle ich es nicht gleich in der Überschrift verwenden. Das Wort «Ficken» schrecke ab, vor allem im Zusammenhang mit dem Wort «Kinder», oder es stimuliere, was abhängig davon sei, auf welchem Planeten man gerade lebe und wie man dort seine aktuelle sexuelle Präferenz bezeuge.

Bei gründlicher Betrachtung gibt es für das, worüber ich sprechen werde, noch kein angemessenes Wort. Selbst das Wort «Ficken» ist, sogar in seiner eigentlichen Härte, noch eine Verniedlichung, schon aus dem Grund, daß man es heutzutage zu jeder Gelegenheit und aus jedem Mund hören kann. Viele gebrauchen dieses Wort, um bestimmte Affekte abzureagieren, andere, um sich gegenseitig zu beleidigen. Regelmäßig gebrauchen es Autofahrer, um ihre vermeintlichen Revieransprüche zur Geltung zu bringen, oft bei heruntergelassenen Scheiben, in Verbindung mit einer zur Faust geballten Hand, aus der der Mittelfinger steil nach oben gerichtet ist. Ebenso wird es häufig in dem Medium verwendet, das man Fernsehen nennt, obwohl man dort weit seltener in die Ferne sieht, als man selber glaubt. Vielmehr kann man mit Hilfe seiner Fernbedienung in die Tümpel seiner fortgesetzt degenerierenden Nachbarschaft blicken, wobei man ebensogut aus dem Fenster schauen könnte. Es gibt auch immer noch Leute, die sich nicht abgewöhnen können, dieses Wort zu gebrauchen, um den Geschlechtsverkehr zwischen Erwachsenen zu vulgarisieren, sogar noch, wenn es sich dabei um sie selber handelt. Kürzlich sah ich auf der Straße ein etwa neun Jahre altes Mädchen, das mit einer Stimme voller Verachtung seinem gleichaltrigen Spielkameraden ein wütendes «Ich fick dich!» hinterher brüllte. Ich werde darauf noch zurückkommen.

Obwohl das Wort «Ficken» durch den häufigen Gebrauch derart verschlissen ist, daß es scheinbar kaum noch jemanden erschüttern kann, habe ich mich entschieden, es zu verwenden, um genau dies zu versuchen: Sie zu erschüttern. Ich möchte Sie in die Enge treiben, Ihr Herz ergreifen, auch Ihren Körper. Ich möchte Ihnen die volle Bedeutung dieses Wortes zurückgeben, seine ganze Härte. Auch, daß Sie dieses Wort nie wieder ohne den Gegenstand, den ich hier behandeln werde, denken und fühlen werden. Dazu werde ich mir auch zunutze machen, daß dieses Wort, das Wort «Ficken», immer dann im Volksmund auftaucht, wenn irgendwo ein Sexualverbrechen an einem Kind bekannt wird, weil genau dann der alte Schrecken, den dieses Wort hervorruft, und seine eigentliche Bedeutung auf vollkommene Weise in Erscheinung treten. Sätze wie «Dieser Perverse da hat das Kind gefickt», kann man dann oft an der Frontwand des Hauses lesen, in dem der Täter mit seiner Familie wohnt.

Ich weiß nicht, ob mir irgend etwas von dem gelingen wird, was ich mir vorgenommen habe. Mag sein, Sie werden nur müde gähnen, mich als einen weiteren Spinner abtun, der Ihnen Ihre Zeit stiehlt, und sich dann zur Seite drehen und weiterschlafen. Aber ich habe so etwas wie eine verrückte Hoffnung, es könnte mir dennoch gelingen, Sie in Bewegung zu bringen. Natürlich werde ich nicht von Ihnen verlangen, daß Sie fünf Schritte auf einmal gehen und mit einem Mal alles zu ändern versuchen. Nur Verrückte würden so etwas von Ihnen verlangen. Wahrscheinlich würden auch nur Verrückte fünf Schritte auf einmal gehen. Sehen Sie, ich bin bescheiden: eine kleine Drehung von Ihnen, weg von Ihrem Fernsehsessel, wo Sie Abend für Abend Ihr zufriedenes Herz ausfurzen,  würde mir schon ausreichen.

Ganz am Anfang wollte ich das Wort «Ficken» nicht gebrauchen, ich hatte zuerst das Wort «Foltern» favorisiert. Ich fand aber bald, daß das Wort «Foltern» gerade die sexuelle Ausdehnung meines Gegenstandes nur mangelhaft trifft, da die Folter im heutigen Sprachgebrauch als etwas verstanden wird, was einer Person von einem Träger staatlicher Gewalt oder auf dessen Veranlassung hin angetan wird, meistens indem dieser Person vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen. Oder, wie wir aus den Gefängnissen in Abu Ghraib und Guantanamo hörten: weil es Lust bereiten oder einfach nur Spaß machen kann, andere Menschen zu foltern. Weil man, indem man einen anderen Menschen foltert, sein eigenes beschissenes Leben auf die Ebene eines Gottes erhöhen kann.

Doch dies ist hier nicht der Fall. Die Gewalt, von der ich sprechen werde, ist zwar ebenso eine, die einhergeht mit Macht, Dominanz, Unterdrückung, Furcht, Schmerz und dem absoluten Schrecken, aber sie ereignet sich im persönlichen Lebensbereich. Die meisten Kinder, die gefickt werden, stehen mit dem, der sie fickt, in einer direkten Beziehung. Auch fand ich den Begriff Vergewaltigung zu eindimensional, um dem massenhaften Ficken von Kindern gerecht zu werden, obendrein zu sehr verortet mit dem, was Männer für gewöhnlich Frauen oder Mädchen nach oder während der Pubertät antun. Es ist allerdings in der Tat so, daß diese Kinder vergewaltigt werden, aber es findet eben noch mehr statt. Tatsache ist, daß diese Kinder nicht nur vergewaltigt werden. Sie werden auch vergewaltigt, und sie werden ebenfalls gefickt.

Sie müssen wissen, daß die Männer, die diese Kinder vergewaltigen, nicht zwangsläufig die sind, die sie ficken. Die, die sie ficken, das sind die, die im Haus der Provider sitzen und darauf warten, daß jene, die vergewaltigen, immer wieder neue Kinder vergewaltigen, damit sie sie anschließend per Mausklick ficken können. Andererseits wird kaum jemand ernsthaft bestreiten, daß auch die, die Kinder vergewaltigen, zu denen zählen, die sie ficken, weil sie von denen, die sie per Mausklick ficken, dafür bezahlt werden, daß sie sie vergewaltigen. Das mag für den einen oder anderen eine sehr schlichte Logik sein, aber bedenken Sie den nicht zu unterschätzenden Vorteil, der in der Schlichtheit liegt: jeder kann das verstehen. Das «Ich fick dich!» dieser Männer ähnelt verblüffend dem «Ich fick dich!» des Mädchens, das es seinem Spielkameraden hinterher brüllt. Dieses «Ich fick dich!» sagt: «Du bist für mich der letzte Dreck! Ich verabscheue dich! Ich fick dich! Ich kann das! Keiner wird mich daran hindern!» Jemanden zu ficken, das bedeutet nicht unbedingt, den Koitus zu vollziehen. Das bedeutet auch, Lust zu haben, den anderen zu erniedrigen und ihn zu demütigen. Es bedeutet, ihn zu verhöhnen und ihm zu zeigen, daß man mit ihm machen kann, was man will. Im Krieg, etwa nach einer gewonnen Schlacht, sprachen die Sieger davon, daß sie ihre Feinde gefickt hatten. Ein Palästinenser nahm sich in den siebziger Jahren das Leben, weil er sich durch die Bemerkung eines Israeli in seiner Ehre gefickt sah.

Um das Wort »Ficken« zu umgehen, könnte ich von Geschlechtsverkehr sprechen, werden mir einige von Ihnen entgegenhalten. Doch da ich von Kindern sprechen werde, genauer gesagt, von Kindern, die von erwachsenen Männern zum Opfer von deren sexueller Präferenz gemacht werden, kann ich gerade nicht von Geschlechtsverkehr sprechen. Geschlechtsverkehr, das ist etwas, das Erwachsene für gewöhnlich miteinander haben, nachdem beide ihre Einwilligung gegeben haben. Selbst wenn es sich um mehr als nur zwei Erwachsene handelt, die miteinander Geschlechtsverkehr haben, haben alle Beteiligten ihr Einverständnis bekräftigt. Gelegentlich spricht man auch vom Liebesakt, wenn man vom Geschlechtsverkehr spricht. Da das, worüber ich sprechen werde, mit allem anderen zu tun hat, aber gewiß nicht mit Liebe, und da die Kinder, von denen ich sprechen will, nicht eingewilligt haben, Geschlechtsverkehr mit erwachsenen Männern zu haben, werde ich «Ficken» sagen. Ich werde es oft sagen. Ich werde sagen, daß erwachsene Männer Kinder ficken, in diesem Land, vor unseren Augen. Ich werde auch sagen, daß wir alle zusehen, denn wir alle wissen es. Ich werde mich außerdem weigern, einen Unterschied zu machen zwischen denen, die die Kinder faktisch ficken und die Bilder dieses Fickens ins Haus der Provider stellen und dort kursieren lassen, und den anderen, die die Kinder nur im Kopf ficken, obwohl es natürlich den Unterschied gibt, daß die einen die Kinder faktisch vergewaltigen, während die anderen «nur zusehen», wie die Kinder vergewaltigt werden. Doch die, die Kinder im Kopf ficken, sind letztendlich genau die, die es möglich machen, daß die anderen die Kinder tatsächlich vergewaltigen und ficken, um wiederum jene bedienen zu können, die die Kinder im Kopf ficken.

Das Ficken von Kindern ist, wie so vieles heutzutage, eigentlich wie das meiste, ein Geschäft. Es gibt einen Markt für das Ficken von Kindern, das ist wirklich wahr. So wie es einen Markt gibt für Erdöl, Kaffee oder Bananen. Man kann vor seinem Computer per Mausklick das Ficken von Kindern kaufen. Grundsätzlich herrschen auf dem Markt Gesetze. Die Gesetze lauten: Angebot und Nachfrage, und meistens bedingen sie sich gegenseitig. Das gilt ebenso für den Markt, auf dem Kinder gefickt werden. Da ist nichts zu differenzieren, zumindest nicht für mich. Auch wenn es gespenstig anmutet, ökonomische Begriffe wie Markt, Angebot und Nachfrage in einem Atemzug mit dem Ficken von Kindern zu gebrauchen.



Nach Mitternacht sehe ich in der ARD die eindringliche Reportage «Geheimoperation Kathedrale» über den Kinderpornographie-Club «Wonderland». Der gut gemachte Beitrag korrespondiert mit vielen Informationen, die ich von M. zu diesem Thema bekommen habe: Kinder als Ware, verschleppt, mißbraucht, gemartert, beim Mißbrauch und der Tortur gefilmt und anschließend weggeworfen, wie Abfall. Die Kinder, die es überleben, sind für den Rest ihres Lebens beschädigt. Sie sind zerbrochen, wirken bruchstückhaft und wie durchlöchert. Sie sind unfähig, Beziehungen einzugehen oder Beziehungen aufrechtzuerhalten, weil sie unfähig sind zu vertrauen. Sie leben in einem inneren Land, das einem kalten Planeten gleicht, der von jenem Land, in dem Sie leben, durch eine massive Grenze getrennt ist. Alle Versuche, ihr Land dauerhaft zu verlassen, um etwa bei Ihnen und Ihresgleichen zu leben, scheitern fast immer. Die Erfolge der Ermittlungsbehörden sind marginal, auch wenn ihnen, wie bei der «Geheimoperation Kathedrale», gelegentlich ein großer Coup gelingt. Gleichzeitig herrscht bei den Providern und in deren Umgebung eine bedenkliche Arroganz, wenn es darum geht, hier einzugreifen, verbunden mit kaum verhohlener Gier und einem seltsamen, atemraubenden Stumpfsinn, auf den man kaum etwas Intelligentes erwidern kann. Auch die Männer, die Kunden, jene, die im Haus der Provider leben und dort ein- und ausgehen, sind auf eine unerhörte Weise unempfindlich gegenüber dem Anderen, dem Kind, das für sie eine Ware ist, die sie kaufen, verkaufen oder tauschen. Diese Männer, die keine Männer sind, denen man schon aus der Entfernung ansieht, daß sie Kinder ficken, sie lassen keinen Zweifel daran, daß sie alles tun würden, um an neue Bilder zu kommen, um neue Kinder zu sehen. Bilder und Filme von nackten Kindern. Kindern mit unnatürlich gespreizten Beinen. Kindern bei der Fellatio mit erwachsenen Männern. Bilder und Filme von an Füßen und Armen aufgehängten Kindern, gefesselten und geknebelten Kindern. Kindern in der schwarzen Montur einer Domina. Kindern mit den Genitalien von erwachsenen Männern in jeder ihrer Körperöffnungen. Bilder und Filme von acht Jahre alten Kindern. Bilder und Filme von sechs Jahre alten Kindern. Bilder und Filme von elf und zwölf Jahre alten Kindern. Aber ohne Schambehaarung, auf dieses Detail legen jene Männer großen Wert. Bilder und Filme von vier Jahre alten Kindern, sogar von Säuglingen. Bilder und Filme von Mädchen und Bilder und Filme von Jungen. Filme mit Tonspur, auf der die Schreie und das Flehen dieser Kinder zu hören sind. Die Filme mit der Tonspur sind sehr gefragt. Diese Männer würden wirklich alles tun für solche Filme. Sie würden sterben für den Genuß, den ihnen diese Filme verschaffen.

Wieder sitzen wir bei ARD und ZDF in der ersten Reihe – aber warum erst nach Mitternacht? Selbst wenn es sich bei «Geheimoperation Kathedrale» um eine Wiederholung handelt, die irgendwann einmal zu einer besseren Sendezeit gezeigt wurde, ist das kein Grund, einen Beitrag von solcher Brisanz und Aktualität ins Nachtprogramm zu verbannen. Wem also nutzt es, daß solche Beiträge nicht um zehn Uhr am Abend gezeigt werden? Und sind die, die entscheiden, daß solche Beiträge nach Mitternacht gesendet werden, identisch mit solchen, die möglicherweise die Produktion einer solchen Reportage zwar nicht verhindern konnten, durch einen späten Sendeplatz wohl aber eine breit angelegte Diskussion darüber – Mitglieder eines anderen «Wonderland»? Solche Sätze fordern zum Widerspruch geradezu heraus, das ist mir völlig klar. Aber man soll mir ruhig widersprechen. Mir einen Sendeplatz nach Mitternacht erklären, wenn es um so etwas geht wie das Ficken von Kindern. Mir dabei auch das begreiflich zu machen versuchen: das massenhafte Ficken von Kindern, das sich in der Öffentlichkeit zuträgt, vor unseren Augen, in dem für jeden zugänglichen Haus des World Wide Web, wo man mit einem Mausklick jedes beliebige Zimmer betreten kann.

Was machen die Provider, wenn in dem von ihnen vermieteten Haus Kinder gefickt werden? Sehen Sie, sie wissen es natürlich alle, aber sie verdienen daran, und sie behaupten, daß sie nichts tun können. Sie untermauern ihre Behauptung durch eine weitere, nach der sie dagegen nichts ausrichten können, weil der Gesetzgeber inkompetent sei, was ihnen die Hände binde, gegen diese Männer vorzugehen. Sie faseln auch viel von der Freiheit des World Wide Web, in die sie nicht eingreifen wollten, und in die auch der Gesetzgeber nicht eingreifen könne. Sie bekräftigen, daß es sich bei diesen Männern nur um Randerscheinungen handele, wegen denen das World Wide Web nicht reglementiert werden solle. Während sie so schwätzen, kassieren sie bei ihren Kunden weiterhin ab, selbstverständlich auch bei diesen Männern, denen das World Wide Web längst zur innersten Heimat geworden ist. Die Provider waschen ihre Hände in Unschuld, wobei es ihnen völlig gleichgültig, von wie vielen mißhandelten Kindern das Wasser bereits blutig gefärbt ist, in dem sie ihre unschuldigen Hände waschen. Ich weiß, es gibt Ausnahmen. Aber die gibt es immer. Es sind jedesmal die Ausnahmen, die vom eigentlichen Problem ablenken sollen. Man kann sich sein winziges Hirn wund diskutieren mit solchen Ausnahmen, bis das Problem darunter verschwindet. Teile der Medien haben ihre einzige Daseinsberechtigung in diesem Phänomen. Ich glaube auch nicht, daß der Gesetzgeber inkompetent ist. Der Gesetzgeber ist vielleicht schwerfällig, mitunter sehr abstrakt, gelegentlich auch korrupt und zu sehr in das involviert, was zur Rede steht, aber niemals inkompetent. Immerhin hat der Gesetzgeber nur wenige Wochen benötigt, um eine Kampfhundeverordnung auf den Weg zu bringen und mehrere Dutzend gefährlicher Hunde unschädlich zu machen. Er hat dabei Fehler gemacht, und er hat diese Fehler gemacht, weil er zu hastig vorgegangen ist. Weil er sich von einer gewissen Hysterie anstecken ließ, nachdem einige Kinder von solchen Kamphunden tot gebissen wurden. Einer Hysterie, die dem Gesetzgeber seltsamerweise völlig abgeht, wenn von mißhandelten und regelrecht abgeschlachteten Kindern die Rede ist. Trotzdem: wie könnte es gerade dem Gesetzgeber nicht gelingen, eine Verordnung zu erlassen, die den Providern so auf die Finger schlägt, daß es wirklich schmerzt? Es sei denn, er will es nicht.

Warum den Providern auf die Finger schlagen, werden Sie fragen. Warum nicht den Kunden, diesen Männern? Nun, weil die Provider der Dreh- und Angelpunkt sind. Wenn ich ihnen auf die Finger schlage, erteile ich auch den Kunden, diesen Männern, eine Lektion. Die Provider sind das Bindeglied zwischen denen, die die Kinder vergewaltigen und ficken, und den anderen, die sie im Kopf ficken. Wenn die Provider ihre tätige Mithilfe einstellen würden, würden die Männer, die bisher Kinder vergewaltigt und gefickt haben, natürlich nicht aufhören damit. Sie würden andere Wege suchen, Wege, die man unter Umständen wirkungsvoller zurückverfolgen könnte. Auch die anderen, die die Kinder im Kopf ficken, würden sie weiter im Kopf ficken. Nur eben nicht mehr im World Wide Web, nicht vor unseren Augen. Möglicherweise würden dann auch keine Begehrlichkeiten durch entsprechende Angebote überhaupt erst geweckt. Sehen Sie, wenn ich Provider wäre, und ich hätte einen Teil dieses großen Hauses, das sich World Wide Web nennt, und ich würde erfahren, daß die Mieter bei geöffneten Fenstern und Türen den Kindern ihrer Nachbarn die Seele aus dem Leib gefickt und dazu alle möglichen Leute eingeladen hätten, ich würde sie hinauswerfen. Ich würde mir einen dieser Baseball-Schläger nehmen und sie aus dem Haus prügeln, und zwar mitsamt den Leuten, die sie zu ihren Bacchanalien eingeladen haben. Ich würde das tun, ganz unabhängig davon, was sie mir an Miete gezahlt hätten und welches gute Leben ich mir davon hätte leisten können. Ich würde das Geld, das ich bereits von ihnen erhalten hätte, einer wohltätigen Organisation spenden. Ich wäre voller Scham darüber, daß in meinem Haus so abscheuliche Verbrechen vorgefallen sind. Ich würde jeden Morgen im Bad mein Gesicht im Spiegel sehen und mich ins Waschbecken übergeben. Ich würde diese Leute vor dem Haus an einen Zaun ketten und darauf warten, daß irgendwer, der sich für zuständig hält, diesen Inbegriff von vollkommen verfehlter Anständigkeit abholt und irgendwo unterbringt, wo er keinen Schaden mehr anrichten kann. Wenn ich einen besonders schlechten Tag hätte, würde ich ihnen einen Schild um den Hals hängen, auf dem ich ihre sexuelle Präferenz deutlich machen würde. Da ich ein Provider wäre, würde ich die Gunst der Stunde nutzen und die Bilder dieser Männer zu einer Weltreise durch das gesamte World Wide Web schicken. Ich würde auch nicht auf den Gesetzgeber warten. Es wäre mein Haus, ich hätte es vermietet. Ich wäre verantwortlich, vor allem, wenn ich wüßte, was darin geschieht. Ich würde saubermachen, denn kein anderer außer mir könnte das tun. Ich würde dem Gesetzgeber zeigen, wie ich Ordnung in meinem Haus geschaffen, wie ich dieses Problem gelöst hätte. Gewiß, ja, danach würde es Beschwerden geben.

Dann würde jemand finden, ich sei zu hart gewesen. Horden von Anwälten würden die Gerichte bemühen, denn diese Männer würden nicht auf ihren Genuß verzichten wollen. Man würde die Verletzung des Schutzes der Persönlichkeit gegen mich anführen. Auch die Datenschützer würden ihre Darbietungen einbringen. Bestimmte Lobbyisten würden sofort versuchen, das Hohe Lied der Freiheit des World Wide Web zu intonieren. Sie würden ein- und mehrstimmig singen und keine Strophe dabei auslassen. Sie würden ganze Chöre aufmarschieren lassen, die alles in Grund und Boden sängen, was sich der Großen Freiheit des World Wide Web in den Weg stellte. Sogenannte Experten würden im Fernsehen das übliche Gestammel von sich geben und sich einander jede noch so wahnwitzige Sinnlosigkeit bestätigen. Vielleicht würde man mich verurteilen, von der Unverhältnismäßigkeit der Mittel sprechen, von Rufschädigung, sogar von Körperverletzung. Doch das wäre mir egal. Ich würde nicht verstehen, welchen Ruf ich geschädigt hätte, als ich gesagt habe, ein Kinderficker ist ein Kinderficker ist ein Kinderficker, wobei die Anwendung der Begriffe «Ruf» und «Rufschädigung» gerade bei solchen Leuten wie den Kinderfickern eine völlig neue Dimension erhielte. Ich würde mir auch sagen, gut, wenn es regnet, wird man eben naß. Meine einzige Rechtfertigung wären die bestialisch gequälten Kinder und daß ich Kenntnis von ihnen hätte. Das wäre mir genug. Wozu immer man mich verurteilen würde, dem würde ich zustimmen.

Nach und nach würde auch der Gesetzgeber seinen gewaltigen, aber schwerfälligen Körper erheben und irgendwann finden, daß ich über das Ziel hinausgeschossen sei. Das wäre gut, ich wäre dann einen Schritt weiter gekommen. Ich hätte den Gesetzgeber zumindest da, wo er hingehört: er müßte nun Ziele formulieren und Rahmenbedingungen abstecken. Wenn die vorhandenen Rahmenbedingungen nicht ausreichten, um die Kinder zu schützen, müßte der Gesetzgeber diese modifizieren. Wenn die Anzahl der Personen nicht ausreichte, die nötig wären, um die modifizierten Rahmenbedingungen umzusetzen, müßte der Gesetzgeber die Anzahl der Personen erhöhen. Der Gesetzgeber müßte seinen gewaltigen, aber schwerfälligen Körper aufrichten und sich vor die Kinder stellen, er müßte sie mit der ganzen Macht seines Körpers vor den Kinderfickern schützen. Um sich der Bedeutung seines überlegenen Körpers und dessen Schutzfunktion für die Kinder völlig bewußt zu werden, würde der Gesetzgeber einige Zeit benötigen, wenn er seine Sache gut und richtig machen wollte. Immerhin ist genau seine Aufgabe. All die Leute in den Ministerien, Behörden und Institutionen, die den Gesetzgeber repräsentieren, werden genau hierfür bezahlt, von Ihnen und von mir, und nicht gerade schlecht. Tatsache ist, daß der Gesetzgeber die Oberaufsicht über das Haus hat, das die Provider vermieten. Tatsache ist außerdem, daß auch der Gesetzgeber an diesem vermieteten Haus und seinen dreckigen Kunden ordentlich verdient, und sei es nur über die Umsatzsteuer, die die Kunden des World Wide Web zahlen müssen. Weil der Gesetzgeber zum großen Teil aus Männern besteht, die vielleicht gerne auch weiterhin ungestört in das Haus der Provider gehen wollen, schließt sich hier einer der Kreise, von denen ich längst nicht alle überblicke. Letzteres ist keine Tatsache, sondern nur eine Mutmaßung, ich betone das ausdrücklich. Eine Mutmaßung, die allerdings nicht einer gewissen Evidenz entbehrt, auch wenn sie auf den ersten Blick ungeheuer brüskierend ist. Der Gesetzgeber könnte sich nun womöglich provoziert fühlen und mit seinen gesammelten Organen wie ein Gewitter über den Schreiber dieser Zeilen kommen und ihm einiges an Verdruß bereiten. Da der Gesetzgeber immer die ganze Macht hat, hat er hierzu alle Möglichkeiten. Dem gegenüber allerdings steht die Kriegserklärung der Kinderficker. Und das ist eine Bedrohung, von der sich der Gesetzgeber bisher nicht besonders herausgefordert gefühlt hat. Ich meine, weshalb sonst löst er dieses Problem mit einer Hartnäckigkeit nicht, wo er doch beispielsweise bei den Kampfhunden eine Leidenschaft bis hin zu einer an Fanatismus grenzenden Froschperspektive bewiesen hat? Natürlich, da ist ein Kind tot gebissen worden, von einer Hundebestie, mitten am Tag, in einer Schule, und die Medien haben sich ereifert wie immer, wenn es richtig blutig wird. Man kann sich schließlich nicht jeden Tag über sogenannte B-Promis, ehemalige Fußballspieler, abgehalfterte Tennisspieler oder abgewrackte Schlagerstars und deren Frauen und Ex-Frauen auslassen. Immerhin sind wir eine Mediokratie, in der die Arbeit des Parlaments endgültig abgelöst wurde durch die wöchentlichen Inszenierungen der politischen Klasse in den Talk-Shows. Politisch gearbeitet wird ausschließlich dort oder wo immer sonst eine Fernsehkamera oder ein Mikrophon zu finden sind. Die Medien müssen eine Nation führen, ganz egal in welche Richtung. Man muß Befürchtungen unters Volk streuen, Volkes Stimme zum Ausdruck bringen, Meinung machen, auch wenn das möglicherweise nur Befürchtungen, Stimmen und Meinungen von einigen Wenigen sind, die sich in der Nacht zuvor in einschlägigen Clubs als Kampftrinker ausgezeichnet haben. Drei Wochen Dauerbombardement in einschlägigen Presseorganen samt aller möglichen Kommentare aus jeder nur denkbaren Ecke zum Thema Kampfhund bringen den Gesetzgeber dazu, seinen schwerfälligen Körper rascher zu bewegen, als gut für ihn ist. Wir wissen, wenn einer seinen Körper schneller bewegt, als dieser Körper es zuläßt, wird er straucheln, stolpern, außer Atem kommen, Halt suchen, Fehler machen. Der Gesetzgeber handelt nun wegen der Medien. Eine Bande von Kampftrinkern, die ihre heiße Luft aus der falschen Öffnung herausgelassen haben, haben ihn mit Dreck beworfen. Alle Finger zeigen nun auf ihn, sein Image ist in Gefahr. Um sein Ansehen in der Öffentlichkeit wiederherzustellen, muß er sich reinigen, er muß handeln. Aber er handelt nicht wegen dem tot gebissenen Kind, ich bin mir ganz und gar sicher: nicht wegen diesem einen Kind, niemals. Nicht, wenn im Haus der Provider Kinder gefickt werden, Hunderte, Tausende, jeden Tag, von Menschenbestien, und jeder weiß das, wirklich jeder. Es werden sogar einige Kinder tot gefickt von diesen Menschenbestien. Wenn im Haus der Provider die Männer auch weiterhin ungestört ein- und ausgehen können für ihren sonderbaren Genuß, hat der Gesetzgeber nichts getan. Aber er wurde von den Medienvertretern auch nicht gerade gedrängt.

Wie kann das überhaupt geschehen, haben Sie sich das einmal gefragt? Wie das möglich ist, daß man einen solchen Rabatz veranstaltet wegen dieser Kampfhunde, während diese elenden Fickmänner weiter dem nachgehen können, was sie ihre legitimen Bedürfnisse nennen? Wie können Männer im Haus der Provider ungestört ein- und ausgehen und Kinder ficken, obwohl jeder davon weiß? Obwohl jeder weiß, daß dort Kinder gefickt werden, daß einige von ihnen sogar tot gefickt werden? Obwohl jeder das weiß, verdammt, ich wiederhole es: Jeder! Der Gesetzgeber weiß es, die Provider wissen es, wir wissen es, jeder weiß es. Wäre die Reportage um zehn Uhr am Abend gesendet worden, wüßten wir sogar, was das bedeutet, dieses Ungeheuerliche, da, das Ficken von Kindern. Wir wüßten von den schwindelerregenden Ausmaßen, die das Ficken von Kindern angenommen hat. Wüßten von dem Wahnsinn einer Wand mit über eintausend Fotografien von Kindern, die man gefickt hat. Wir hätten über eintausend Portraits von Kindern gesehen, von denen niemand etwas weiß, außer daß man sie gefickt hat. Letzteres weiß man unzweifelhaft, weil man die Portraits aus genau den Bildern und Filmen herausgeschnitten hat, auf denen die Kinder gefickt wurden. Es könnten Kinder aus Ihrer Nachbarschaft sein, aus Ihrem Bekanntenkreis, sogar aus Ihrer Verwandtschaft. Apropos Verwandtschaft: auch die Männer, die die Kinder ficken, könnten sich in Ihrer Nähe befinden, könnten Nachbarn, Verwandte, Arbeitskollegen, der Pfarrer, der Chef oder der Kommunalpolitiker sein.

Doch weiter: wir hätten auch die Männer gesehen, jene Männer, die die Kinder gefickt haben. Allerdings hätten wir nur ihre Körper gesehen, diese Instrumente der Bestialität, mit denen sie die Kinder heimgesucht haben. Zu keiner Zeit hätten wir die Köpfe dieser Männer sehen können, ihre Gesichter. Gesichter, die nur jene Kinder gesehen haben. Wir hätten Bilder und Schatten von Bildern gesehen, die auf weitere Bilder verwiesen hätten. Bilder, die wir niemals sehen würden, außer in einer abgründigen Dunkelheit, im Herzen der Finsternis, in uns selbst. Statt dessen haben wir schon geschlafen. Jemand in der Programmdirektion hat entschieden, daß diese Reportage nach Mitternacht gesendet wird. Wahrscheinlich haben auch die Vertreter der Kirchen geschlafen, obwohl sie ansonsten hellwach sind und zu jeder unmöglichen Tageszeit umgehend die Glocken läuten für jedes abgetriebene Kind, und eine Sturmwarnung herausgeben für jeden Embryo, der zu Forschungszwecken «verbraucht» wird. Ich will dieses Thema nicht herunterspielen, wahrscheinlich ist es wichtig, darüber einen Diskurs zu führen. Wichtig für die Dinge, die sich in der Zukunft ereignen könnten. Obwohl ich mich gerade frage, was das für eine herrliche Zukunft sein wird, errichtet auf den bestialisch geschundenen Leibern und Seelen tausender von Kindern. Hat schon einmal einer dieser Kirchenleute in der Gegenwart, in der wir mit diesen Kindern leben, die Glocke für ein im World Wide Web geficktes Kind geläutet? Ein winziges Glöckchen, wie sie etwa zu Ostern um die Hälse bestimmter Schokoladenhasen geschlungen sind? Hat es eine einzige Sturmwarnung für auch nur ein einziges, im World Wide Web geficktes Kind gegeben? Welchen Sinn soll es haben, einen Diskurs über Abtreibung oder den «Verbrauch» von Embryonen zu Forschungszwecken zu führen, wenn Kinder, die von Frauen nicht abgetrieben wurden, später im World Wide Web von diesen Männern gefickt werden? Ich meine, jeder abgetriebene Embryo hätte ein gnädigeres Schicksal als ein geborenes Kind. Auch die Medien haben bereits geschlafen, um für den nächsten Tag kampfbereit zu sein, um sich wieder einmal zu ereifern, wenn es richtig blutig wird. Oder wenn die sogenannten B-Promis, die ehemaligen Fußballspieler, abgehalfterten Tennisspieler und abgewrackten Schlagerstars und deren Frauen und Ex-Frauen uns öffentlich mit ihren letzten Resten von Sprachvermögen die Welt erklären oder ihre Daseinsberechtigung weismachen. Wo wir alle doch insgeheim wissen, daß selbst ein Goldhamster mehr Daseinsberechtigung hat als diese Leute und daß man sie zu anderen Zeiten entweder am Nasenring durch eine Manege gezogen, sie auf dem Jahrmarkt neben der Dame ohne Unterleib und anderen Abnormen ausgestellt oder ihr Blut im Sand des Circus Maximus in Rom unter der brüllenden Mittagssonne getrocknet wäre, nachdem die Löwen mit ihnen ihren Spaß gehabt hätten.

Ich habe nicht geschlafen, doch das ist nichts Besonderes. Ich schlafe wenig, das hat persönliche Gründe, deren Gegenstand in meiner Geschichte liegt. Sie müssen wissen, daß es einen Teil von mir gibt, der niemals schläft. Schon am Anfang meiner eigenen Geschichte, wo es noch keine Provider gab, gehörte das Ficken von Kindern durchaus bereits zum Alltag bestimmter Männer, denen das World Wide Web heute wie ein Paradies erscheinen muß. Es gab schon immer Familien in diesem Land, zu deren Alltag das Ficken von Kindern gehörte. Nicht wenige würden mich für diesen Satz eigenhändig lynchen. Aber das stört mich nicht weiter.

Übrigens habe ich mich nicht nur in dieser Nacht gefragt, wie man überhaupt schlafen kann, wenn man weiß, daß Kinder gefickt werden. Nur in dieser Nacht habe ich darüber geschrieben. Dabei habe ich alles stehen und liegen gelassen, auch die Arbeit an meinem neuen Buch. Ein Grund, weshalb ich darüber schreibe, ist nicht allein der, daß ich mich über den späten Sendetermin dieser Reportage geärgert habe, das war nur der Auslöser. Einer der Gründe, einer der wesentlichen Gründe, ist ein Mädchen, das mir vor etwa einem Jahr im World Wide Web begegnet ist. Ich überlege mir schon länger, ob ich Ihnen von diesem Mädchen erzählen soll, immerhin ist es schon die ganze Zeit über da, während ich hier sitze und schreibe. Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen es bemerkt. Dieses Mädchen trug eine kleine weiße Schütze, wie sie Serviererinnen für gewöhnlich tragen. Sie trug nichts, außer dieser kleinen weißen Schürze. Ihr Gesicht lag zwischen den Beinen eines Mannes, sein Glied steckte in ihrem Mund. Die Augen des Mädchens starrten in die Kamera, es versuchte tapfer zu lächeln. Vermutlich hat die Person hinter der Kamera das Mädchen hierzu aufgefordert, um dem möglichen Zuschauer einzureden, daß das Glied des Mannes in seinem Mund ihm keine Angst macht. Doch diesem Mädchen gelang es einfach nicht zu lächeln, vielmehr war sein Gesicht auf eine irrwitzige Weise verzerrt. Ich vermute, der Grund hierfür steckte in seinem Mund. Ich weiß nicht, wie alt dieses Mädchen war. Ich konnte erkennen, daß das Mädchen von kleiner Gestalt war, ohne jede Schambehaarung. Ich habe das Alter des Mädchens auf fünf Jahre geschätzt. Später habe ich dem Mädchen einen Namen gegeben, ich habe es Christina genannt. Ich mußte das einfach tun, ich hätte es nicht ertragen, dieses namenlose, gefickte Mädchen, wie es durch meinen Kopf irrt und überall anstößt, weil es nicht mehr hinaus kann. Es gab noch einige andere Bilder, auf denen Christina mit diesem Glied zu sehen war. Bilder, die ich nicht mehr sehen kann, weil ich sie tief, sehr, sehr tief in mir verbannt habe. Sie werden vielleicht Verständnis dafür haben, daß ich an diese Bilder nicht rühren will. Ich bin allein in dieser Nacht. Überhaupt bin ich sehr viel allein. Sehen Sie, ich möchte gerne weiterleben, auf irgendeine Weise, und dazu ist es notwendig, nicht zu nah an dieser Bilder zu kommen. Man kann nicht weiterleben, nicht mit solchen Bildern, das ist ausgeschlossen. Nicht einmal ich kann das.

Ein weiterer Grund, weshalb ich darüber schreibe, ist der, daß ich weiß, was das bedeutet: ein geficktes Kind zu sein. Dieses Kind konnte nie von jemandem als Opfer identifiziert werden, weil das Verbrechen an ihm totgeschwiegen wurde. Weil dieses Kind selbst, noch als Mann von Anfang Vierzig, dieses abscheuliche Verbrechen an ihm verschwiegen hat. Man hat dieses Kindergesicht nie an einer Wand neben anderen mißbrauchten und mißhandelten Kindern gesehen. Dennoch ist die Markierung, die dieses Kind in mir hinterläßt, unauslöschlich. Das ist so. Sie können es auch hier entdecken, dieses Kind. Es schreibt diesen Text mit und ist gleichzeitig ein Teil von ihm. Ich schleppe seinen geschlagenen und mißbrauchten Kadaver hinter mir her, weil ich mich nicht von ihm trennen kann. Immerhin ist sein Kadaver alles, was mir von meiner Kindheit verblieben ist.

Einmal, wenn Sie mir an einem bestimmten Tag irgendwo begegnen, können Sie dieses Kind noch sehen. Dann schreit es Sie an, dieses Kind, bisweilen so sehr, daß Sie nicht wissen, wie Ihnen geschieht. Sie werden es nicht immer sehen. Genau genommen wird es Ihnen die meiste Zeit über verborgen bleiben. Dazu müssen Sie wissen, daß ich dieses Kind gut versteckt habe. Oft finde ich es selber kaum. Selbstverständlich weiß ich, daß es da ist, und daß es traurig ist und wütend und voller Angst und allein. Dieses Kind lebt mit mir. Ich bin keinen Tag ohne es. Wir machen alles gemeinsam. Von Zeit zu Zeit ist das sehr schwierig, diese Art von Zusammenleben. Oft sprechen mich Leute an, und das Kind macht dann, daß ich mich sofort verberge. Dann und wann erkenne ich es wieder, wenn ich ein anderes Kind ansehe. Ich glaube, so ist es mir bei Christina ergangen.

Und nun? Was nun? Was machen wir damit? Können Sie mir das sagen? Ich kann es nicht sagen, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was Sie tun wollen, oder was Sie tun werden. Ich weiß nicht einmal, ob Sie überhaupt etwas tun werden. Sie könnten sich über meinen Text aufregen. Sie könnten ihn abscheulich finden, abstoßend, ekelerregend. Er könnte Ihnen den Tag verdorben haben, »dieser verdammte Text«, so könnten Sie reden. Sie könnten die häufige Verwendung des Wortes «Ficken» kritisieren. Ich nehme am, einige von Ihnen werden mitgezählt haben. Sie könnten auch die Schreibweise beanstanden, das Verhältnis von Diktion und Sujet für unangemessen halten. Sie könnten sich von meinem Text zusammengeschlagen fühlen. Was auch immer, ich habe keinen Einfluß darauf. Der Text wird irgend etwas mit Ihnen machen. Sie werden irgend etwas mit dem Text machen. Doch was immer Sie beanstanden, ablehnen, anfechten, was Sie herabsetzen, worüber Sie meckern, nörgeln und sich beklagen wollen, denken Sie dabei an Christina und die anderen Kinder.

Auch wenn Sie als Kind nicht gefickt wurden, könnte es sich als sinnvoll herausstellen, sich über das Ficken von Kindern zu empören. Sie könnten Ihrer Empörung irgendeine Richtung geben. So könnten Sie anfangen, Fragen zu stellen, Sie könnten die Fragen laut stellen. Beispielsweise könnten Sie fragen, was das eigentlich für eine grenzenlose Freiheit im World Wide Web sein soll, die Kindern die Freiheit nimmt, um sich behaupten zu können? Und ob es eine Wahl gibt zwischen der Freiheit im World Wide Web und der Freiheit der Kinder? Och meine, kann es da wirklich eine Wahl geben? Oder ist es nicht vielmehr so, daß jeder, der im World Wide Web ein- und ausgeht, nicht seine Freiheit zum Ziel haben kann, ohne gleichzeitig die Freiheit dieser Kinder zum Ziel zu haben? Vielleicht könnten Sie diese Fragen Ihrem Provider stellen, oder Ihrem Abgeordneten, wobei der Letztere wahrscheinlich größeren Einfluß auf den Gesetzgeber hat. Allerdings unterschätzen Sie nicht den Einfluß, den Sie auf Ihren Provider haben. Verschwenden Sie einen Gedanken daran, wieviel er daran verdient, daß Sie ausgerechnet über ihn ins World Wide Web gehen. Denn in der Zwischenzeit gibt es auch Provider, die mit einem speziellen Suchprogramm den Teil des Hauses, für den sie verantwortlich sind, von solchen Bildern sauberhalten. Es gibt auch Leute unter Ihnen, die Tiere lieben und die sich sehr im Tierschutz engagieren. Leute, die auf die Barrikaden steigen würden, wenn man das, was man diesen Kindern antut, irgendwelchen Tieren antun würde. Es wäre ein Leichtes, sich auf die gleiche Weise für diese Kinder zu engagieren, wie Sie das bisher für die Tiere getan haben. Ich bin sicher, daß Sie das können. Sie können auch dieses Medium selbst nutzen, um gegen seine Auswüchse vorzugehen. Sie könnten diesen Text hier im Netz verbreiten und dabei eine gewisse Rücksichtslosigkeit an den Tag legen. Meine Erlaubnis hierzu haben Sie. Diese Entscheidung können nur Sie treffen, auch wenn Ihre Entscheidung Einfluß nehmen wird auf andere Entscheidungen, auf solche, die der Gesetzgeber zu treffen hat. Niemand außer Ihnen verfügt über eine solche Macht. Ich hoffe, Ihnen ist diese Tatsache bewußt.

Es ist einfach: der Gesetzgeber müßte der Auffassung sein, daß ein Kind nicht etwas ist, das man quälen und dann wegwerfen kann. Selbstverständlich wird der Gesetzgeber an dieser Stelle einwenden, daß er längst schon die Auffassung vertritt, daß ein Kind nicht etwas ist, das man quälen und dann wegwerfen kann, und auf eine Menge von Gesetzen und Verordnungen hinweisen, die das bekräftigen sollen. Hier müßte man ihm dann entgegnen, daß das gar nicht sein kann, nicht bei diesem massenhaften Ficken von Kindern, was ja deutlich zeigt, daß man ein Kind ohne weiteres quälen und dann wegwerfen kann. Die Frage, wie der Gesetzgeber nun zu der Auffassung gelangt, daß ein Kind nicht etwas ist, das man quälen und dann wegwerfen kann, ist berechtigt. Sie ist um so berechtigter, je energischer der Gesetzgeber an dieser Stelle einwendet, daß er längst schon diese Auffassung vertritt und, wie weiter oben erwähnt, auf seine Bemühungen diesbezüglich hinweist. Sie müssen es ihm sagen, ihn immer und immer wieder auf die horrende Zahl der täglich gefickten Kinder aufmerksam machen. Immerhin sind Sie der Souverän, selbst auf Ihren Fernsehsesseln. Was heißt, daß Sie sich nicht herausreden können und die volle Verantwortung haben für alles, was Sie tun, und für alles, was Sie unterlassen.

Möglicherweise sind wir für diese Kinder bereits verantwortlich, bevor wir uns entscheiden können, verantwortlich zu sein. Demnach wäre unsere Aufmerksamkeit auf das Leiden dieser Kinder unabweisbar. Wir könnten nicht mehr zulassen, daß es irgendwelche Rechtfertigungen dafür gibt, diesen Kindern weiter Schmerz zuzufügen. Selbst wenn wir der Auffassung wären, daß wir in einem Schweinestall leben, und jeder nur krampfhaft versucht, in seiner Box zu bleiben, um diesen Wahnsinn, der das Ficken von Kindern ist, bloß nicht mitzubekommen, ändert das nichts daran, daß wir für diese Kinder Verantwortung haben. Selbst in einem Schweinestall, zumindest wenn er von menschlichen Wesen bewohnt wird, bedeutet das Wort «ich»: sieh mich. Das macht uns verantwortlich für alles und alle, genau genommen macht es uns zu einer Geisel dieser Kinder. Dies nicht länger zu leugnen, das wäre doch immerhin etwas, ein Anfang vielleicht.



Für Christina, die später sagen kann, daß sie schon mit fünf Jahren im World Wide Web war





© Richard Wolf; 2001;
durchgesehen und überarbeitet 2012

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen